Klassifizierung
Die hereditären Zystennierenerkrankungen lassen sich genetisch in insgesamt drei Formen unterteilen:1. ARPKD (autosomal – rezessive polyzystische Nierenerkrankung)
2. ADPKD (autosomal – dominante polyzystische Nierenerkrankung)
3. Nierendysplasie
Es gibt außerdem eine pathologisch- anatomisch orientierte Einteilung der hereditären Zystennierenerkrankung nach Potter:
Potter I: autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD)
Potter IIa: multizystische Nierendysplasie
Potter IIb: hypoplastische Nierendysplasie
Potter III: autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD)
Potter IV: zystische Nierendysplasie bei fetaler Obstruktion der unteren Harnwege
Die autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD) hat eine Inzidenz von 1:1000, wobei 85 % der Fälle auf eine Mutation im PKD1-Gen zurückzuführen sind, während in den übrigen Familien eine Mutation im PKD2-Gen (Chromosom 4q21) vorliegt. Die klinische Variabilität (variable Expressivität) ist selbst innerhalb einer Familie zum Teil sehr ausgeprägt. Dies macht deutlich, dass modifizierende Faktoren eine entscheidende Rolle spielen müssen. Frühmanifestationen werden bei ca. 2% der Genträger gefunden. Seltene neonatale Verlaufsformen können mit einer Potter-Sequenz assoziiert sein. Sie enden aufgrund der Lungenhypoplasie früh letal. Zystennieren vom Typ Potter III treten häufig im Rahmen der ADPKD auf. Zystennieren vom Typ Potter III sind die häufigsten zystischen Nierenveränderungen. Neben dem Vorkommen bei der ADPKD treten sie auch im Rahmen zahlreicher Syndrome auf. Die Manifestation erfolgt meist zwischen dem 20. und 40. Patienten mit ADPKD weisen häufig asymptomatische Leberzysten (ca. 40%), asymptomatische Pankreaszysten (5-10%) und Milzzysten auf. Hirnbasisaneurysmen finden sich autoptisch bei ca. 20% der Patienten. Kardiovaskuläre Veränderungen finden sich ebenfalls bei ca. 20% der Patienten. Aufgrund des autosomal-dominanten Erbgangs ist auf die Familienanamnese zu achten. Sehr selten treten neue Mutationen auf.
Die autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD) ist durch frühen, meist pränatalen Beginn gekennzeichnet. Bei der ARPKD entsprechendie Zystennieren dem Typ Potter I. Mit dem Begriff Zystennieren Typ Potter I werden sehr spezifische Veränderungen der Nieren und der Leber bezeichnet. Wenn zusätzlich keine weiteren Fehlbildungen wie verkürzte Röhrenknochen vorliegen, handelt es sich um die autosomal rezessive Form der Zystennieren, sodass diese Begriffe synonym verwendet werden können. Das Krankheitsbild ist in der überwiegenden Zahl der Fälle bei der Geburt manifest und kann da es pränatal beginnt oft auch bereits pränatal diagnostiziert werden. Etwa 90% der Kinderversterben im frühen Neugeborenenalter meist an respiratorischen Komplikationen infolge einerLungenhypoplasie. Obligat findet sich eine kongenitale hepatische Fibrose mit hyperplastischen Gallengängen. Fehlende Leberveränderungen auch in sehr frühen Stadien der Diagnose schließendie Diagnose einer ARPKD aus. Die klinischen Konsequenzen der Leberfibrose treten meist erst imspäten Kindes- bzw. Jugendalters als Folge einer portalen Hypertension in Erscheinung. 1994 gelang die Kartierung des ARPKD Gens auf dem Chromosom 6p. Dort befindet sich das PKHD1-Gen und Mutationen in diesem Gen führen zum Phänotyp der Erkrankung. Das PKHD1 Gencodiert für ein Transmembranprotein mit 86 Exons und einer großen Vielzahl alternativer Splicevarianten. Das längste Transkript umfasst 67 Exons, welches das Protein Polyductin codiert.Wenn man das Gen kennt, das für eine Erkrankung verantwortlich ist, dann kann einemolekulargenetische Diagnostik angeboten werden. In klinisch zweifelsfreien Fällen gelingt derMutationsnachweis in ca. 95% der Fälle. Aufgrund der Größe und der Vielzahl unklarerPolymorphismen bleibt die Gensequenzierung nur seltenen, speziellen Fragestellungen vorbehalten.
Das Alport Syndrom ist eine vererbte progressive Nierenerkrankung. Sie geht mit einer fortschreitenden Innenohrschwerhörigkeit und charakteristischen Augenveränderungen einher. Klinisch zeigt sich ein heterogenes Erscheinungsbild mit: Hämaturie, Proteinurie und charakteristischen Veränderungen der glomerulären Basalmembran. Mittel- bis langfristig entwickelt sich eine glomeruläre und interstitielle Fibrose, die zur terminalen Niereninsuffizienz führt. Die Erkrankung wird durch einen strukturellen Defekt der Typ-IV-Kollagenfasern verursacht. Das Alport-Syndrom wird in bis zu 85% X-chromosomal rezessiv vererbt und ist auf Mutationen im COL4A5-Gen auf Chromosom Xq22 zurückzuführen. Mutationen in den Genen COL4A3 oder COL4A4 auf den Chromosomen 2q36-q37 führen dagegen zu einer autosomal rezessiven (15%) oder autosomal dominanten (sehr selten) Form der Erkrankung.
Die Nicht-autoimmune Nephronophthise 1 (NPHP1) ist eine autosomal-rezessive, erbliche Nierenerkrankung mit schwerwiegenden Folgen für die Nierenfunktion. Die Erkrankung ist durch die Bildung von Zysten in den Nephronen, den funktionellen Einheiten der Niere, gekennzeichnet was zu einer Verschlechterung der Nierenfunktion und im schlimmsten Fall zu Nierenversagen führen kann. Betroffene, die an NPHP1 leiden, entwickeln oft Polyurie, Polydipsie, begleitet von Hypertonie sowie Elektrolytstörungen. Die genetische Grundlage für NPHP1 ist das NPHP1-Gen auf Chromosom 2, das für ein Protein kodiert, das in der primären Zilienbiogenese eine entscheidende Rolle spielt. Mutationen in diesem Gen führen zu einer gestörten Zilienfunktion und beeinflussen die normale Entwicklung der Nephronen in der Niere.
Das nephrotische Syndrom ist eine komplexe Nierenerkrankung, die aus genetischer Sicht von besonderem Interesse ist. Es umfasst eine Gruppe von Symptomen, die auf eine gestörte Filtrationsfunktion der Nieren zurückzuführen sind. Einige Fälle des nephrotischen Syndroms haben eine genetische Ursache, wobei Mutationen in verschiedenen Genen identifiziert wurden, die an der Aufrechterhaltung der glomerulären Barriere beteiligt sind. Das NPHS1-Gen, codierend für Nephrin, ist entscheidend für die glomeruläre Barriere und wird mit der Entwicklung des angeborenen nephrotischen Syndroms in Verbindung gebracht. Mutationen in NPHS1 können die Proteindurchlässigkeit der Glomeruli erhöhen. NPHS2 kodiert für Podocin, ein weiteres wichtiges Protein im glomerulären Filtrationsapparat. Mutationen in diesem Gen sind mit familiären Formen des nephrotischen Syndroms assoziiert. Des Weiteren wurden Mutationen in weiteren Genen wie CD2AP und TRPC6 gefunden, die ebenfalls zur Pathogenese des nephrotischen Syndroms beitragen können.
Das Nierenzysten und Diabetes-Syndrom ("Renal Cysts and Diabetes Syndrome" (RCAD)) ist eine genetische Störung, die durch Mutationen im HNF1ß-Gen verursacht wird. Dieses Syndrom ist eine komplexe Multisystemerkrankung, die verschiedene Organe und Systeme betrifft. Die meisten Patienten, die an RCAD leiden, zeigen strukturelle Veränderungen in den Nieren, am häufigsten in Form von zystischen Nierenveränderungen. Die Schwere der Nierenfunktionsstörung variiert von normaler Nierenfunktion bis hin zur terminalen Insuffizienz, die Dialyse oder eine Nierentransplantation erforderlich macht. Etwa die Hälfte der RCAD-Patienten entwickelt auch Diabetes mellitus, wobei das durchschnittliche Manifestationsalter bei etwa 20 Jahren liegt. In einigen Fällen, bei denen die Nierenveränderungen bereits vor der Geburt auftreten, wird der Diabetes bereits im Kindesalter diagnostiziert und erfordert oft eine Insulintherapie. HNF1ß-Mutationen können auch zu urogenitalen Fehlbildungen, Anomalien und Funktionsstörungen des hepatobiliären Systems, Hyperurikämie und Gicht führen. Die Prognose variiert je nach Schwere der Befunde, und die Vererbung erfolgt autosomal-dominant. RCAD ist also eine komplexe genetische Erkrankung, die verschiedene Organe und Systeme beeinflusst und von Fall zu Fall unterschiedlich verläuft.